Von der Versetzung nach Bregenz bis zum Fall des Naziregimes
Tischler kam am 24. April 1939 in Bregenz an. Die Familie verblieb einstweilig in Villach, er selbst ging sofort nach der Ankunft auf Wohnungssuche und fand diese im Haus in der Metzgerbildstraße 1. Hauseigentümer war der Richter Johann Michael Benzer, ein Gegner des Nationalsozialismus. Sie wurden Freunde und tauschten sich laufend über Neuigkeiten aus, die sie abends beim Abhören von ausländischen Radiosendern gehört hatten. Ein lebensgefährliches Unterfangen, wenn die Gestapo den Hörern auf die Schliche kam.
Tischlerjeva družina v Bregenzu / Tischlers Familie in Bregenz.
(ADT/ZRC SAZU)
Tischler v Bregenzu /Tischler in Bregenz.
(ADT/ZRC SAZU)
Fotografija vagonov ob vrnitvi družin koroških slovenskih izseljencev / Foto der Waggons bei der Rückkehr der Familien der Kärntner Heimatvertriebenen, 17. 7. 1945. (ADT/ZRC SAZU)
Domovanje Joška Tischlerja v Bregenzu /Haus in Bregenz, in dem Joško Tischler wohnte.
(ADT/ZRC SAZU)
Tischler blieb nach der Versetzung nach Bregenz weiterhin Vorsitzender des Slowenischen Kulturverbandes. In dieser Eigenschaft nahm er am Weihnachtstag 1939 an der Hauptversammlung in Klagenfurt teil. Jedoch nicht als Hauptredner, er meldete sich nur im abschließenden Teil zu Wort; im Bericht des Koroški Slovenec ist er offiziell als „der während des Schuljahres dienstlich abwesende Vorsitzende des S. K. V.“ angeführt. Offensichtlich gewann bei den slowenischen politischen Leitern in Kärnten immer mehr der Pessimismus die Oberhand. Anstatt der entschlossen geäußerten Erwartungen, das Dritte Reich würde besser für die slowenische Minderheit sorgen, als es die Erste Republik getan hatte, waren jetzt lediglich nur noch vorsichtige Bitten zu hören, dass zumindest ein Teil der Rechte der Kärntner Slowenen erhalten bliebe.
Hitlers ursprüngliche Pläne auf dem Balkan durchkreuzte der Belgrader Staatsstreich. Die Achsenmächte überfielen am Palmsonntag, dem 6. April 1941, Jugoslawien. Seinen Blick auf die jugoslawische Tragödie legte Tischler am Vorabend des 5. Jahrestages des Aprilkrieges dar: »Wir müssen feststellen, dass wir Slowenen uns nicht freuten, als die Grenze auf den Karawanken gefallen war, weil wir nur zu gut wussten und uns dessen bewusst waren, dass Jugoslawien auch unsere Schutzmacht war, obwohl wir außerhalb seiner Grenzen lebten. Was aber Jugoslawien für die Völker jenseits des Gebirges bedeutete, erfuhren diese recht bald. Der überwiegende Teil der Kärntner war erfreut, als die Karawankengrenze niedergerissen wurde, und er erhielt auch einen großen Teil der Beute.« Tischler wurde schon einen Tag nach dem Überfall auf Jugoslawien von der Polizei in Bregenz verhaftet. Obwohl er von den Nationalsozialisten hinter Schloss und Riegel gesteckt worden war, musste er weiterhin unterrichten: vormittags führte ihn die Polizei in die Schule, mittags musste er zurück ins Gefängnis. Doch bald wurden diese Maßnahmen gegen ihn widerrufen. In Bregenz knüpfte Tischler auch Kontakte mit jenen Kärntner slowenischen Familien, die im April 1942 gewaltsam nach Deutschland deportiert worden waren. Zu Pfingsten 1942 begab sich Tischler das erste Mal zu den Vertriebenen auf den Hesselberg. Den slowenischen Familien versuchte er nach besten Kräften zu helfen. Zum Beispiel besorgte er in Bregenz für die Kinder Schulbedarfsartikel.
Tischlerjeva prošnja na deželni šolski svet za Predarlsko / Tischlers Ansuchen an den Landesschulrat für Vorarlberg, 20. 5. 1939.
(ADT/ZRC SAZU)
Im Frühjahr 1945 brach das NS-Regime endlich zusammen. In Kärnten kam es noch vor dem Einmarsch der Alliierten- und der Partisanentruppen zum Machtwechsel. Gauleiter Friedrich Rainer trat nämlich am 7. Mai zurück, sein enger Mitarbeiter Meinrad Natmeßnig übergab die Macht an die Repräsentanten der demokratischen Parteien aus der Vorkriegszeit. Tischler war zu diesem Zeitpunkt noch immer in Vorarlberg. Der Abschied von den Schülern in Bregenz war gefühlsbetont. Tischler war bei ihnen so beliebt, dass sie ihm beim letzten Gruß Spalier standen. Darauf begab er sich auf Bitte der Kärntner Vertriebenen über Ulm auf den Hesselberg.
Entsprechend dem Auftrag der amerikanischen Besatzungsmacht wurde das slowenische Lager auf dem Hesselberg am 15. Juli geräumt, die Insassen nach Nürnberg übergeführt, wo sie dem Transport der jugoslawischen Gefangenen, Häftlinge und Zwangsarbeiter angeschlossen wurden. Nach drei Tagen gelangten sie am 17. Juli in der Früh nach Villach. Tischler und die Heimatvertriebenen warteten hier auf die Lokomotive für die Fahrt nach Klagenfurt. Im Laufe des Vormittages jedoch verbreitete sich auf dem Villacher Bahnhof die Nachricht, dass die Briten die slowenischen Vertriebenen zurück nach Deutschland schicken wollen. Tischler traf beim Zug auf einen Eisenbahner, dessen Kinder das Villacher Gymnasium besucht hatten, und erkannte ihn. Als dieser ihm sagte, der Zug würde in Richtung Norden fahren, befahl Tischler, alle Passagiere sollten aussteigen. Die Vertriebenen gehorchten und führten den Befehl in einigen Minuten aus. Tischler musste sich sofort in der Kanzlei des britischen diensthabenden Bahnhofsoffiziers melden, der ihm in drohendem Tonfall – mit seinem Stock neben Tischlers Kopf auf den Tisch schlagend – auftrug, die Vertriebenen sollten unverzüglich in den Zug zurückkehren. Als Tischler ihm sagte, er führe seine Landsleute in die Heimat, nicht aber neuerlich in die Verbannung, zog der Offizier die Pistole. Tischlers Reaktion war verwegen: „Sie können mich erschießen, jedoch in Kärnten, nicht in Deutschland.” Das Drama kumulierte, als sich die slowenischen Frauen aus Protest auf die Gleise legten, die Kinder, ungefähr 140 im Transport, weinten und schrien. Weil die Frauen unter den Kärntner Gendarmen auch Männer erkannten, die vor drei Jahren an der Zwangsumsiedlung beteiligt waren, begannen diese so zu schreien und ihre ehemaligen Peiniger zu beschimpfen, dass die Briten gezwungen waren, die österreichischen Polizisten abzuziehen. Durch Tischlers Vermittlung beim Kärntner Landeshauptmann Hans Piesch gestattete die britische Kommandantur letztendlich den slowenischen Familien, nach Klagenfurt zu fahren.
Tischlerjevo poročilo britanski zasedbeni oblasti v Celovcu o dogajanjih v zvezi z vrnitvijo koroških slovenskih izseljencev / Tischlers Bericht an die britische Besatzungsmacht in Klagenfurt über die Ereignisse im Zusammenhang mit der Rückkehr der vertriebenen Kärntner slowenischen Familien.
(ADT/ZRC SAZU)
Es fehlte nur wenig und den unglücklichen Opfern der NS-Rassenpolitik wäre ein neues großes Unrecht widerfahren, diesmal unter der Regie der Alliierten, die vorher den gemeinsamen nationalsozialistischen Feind erfolgreich besiegt hatten. Tischler half den vertriebenen Kärntner slowenischen Familien (er bezeichnete sie lieber als Rückkehrer) selbstlos und aus einem tiefen Pflichtbewusstsein heraus, obwohl er damals formal keine Funktion innehatte. Seine moralische Autorität genügte, dass er fordernden Hindernissen zum Trotz, welche die britische Besatzungsmacht den Vertriebenen in den Weg gestellt hatte, ihre Rückkehr erfolgreich bewältigte.