Letzte Rückkehr

Die 50-Jahr-Feier der Kärntner Volksabstimmung am 10. Oktober 1970 war Anlass zur Verschärfung der politischen Verhältnisse in Kärnten. Die Vertreter der Kärntner Slowenen begingen drei Wochen vorher die 100-Jahr-Feier der slowenischen Tabori (politischen Volksversamm­lungen) in Kärnten und der Obmann des Zentralverbandes slowenischer Organisationen Franci Zwitter erweckte bei der Festfeier in Feistritz ob Bleiburg die Idee des Vereinten Slowenien zum Leben. Freilich nicht im Sinne einer administrativen Vereinigung der slowenischsprachigen Gebiete aus den Zeiten des Matija Majar Ziljski, sondern als Manifestation für einen gemeinsamen „slowenischen Kulturraum“ auf Grundlage gutnachbarlicher Beziehungen. Die Antwort des Kärntner Heimatdienstes (KHD) folgte prompt am 10. Oktober im Organ Ruf der Heimat, in der der extremen nationalistischen Erwartung Ausdruck verliehen wurde, eines der beiden Völker in Kärnten würde verschwinden müssen. Proteste der bei­den slowenischen Zentralorganisationen folgten, die sozialistische ­Regierung des Kanzlers Dr. Bruno Kreisky in Wien und ebenso der sozialistische Landeshauptmann Hans Sima entschieden sich für den Beginn des Dialoges. In der schwierigen Lage, in der sich die slowenische Volksgruppe befand, brachten Mitglieder des Rates der Kärntner Slowenen den damals bereits im Ruhestand befindlichen Tischler dazu, wieder als Obmann zu kandidieren. Er selbst begründete seine Entschei­dung später als Akt, der „in der Not der Umstände“ entstanden sei, als er nicht mehr abseits stehen konnte: „Allerdings sah ich auf dem Gang auch junge Burschen und Männer, die bereit waren, sich aufzuopfern.“ Tischler wurde am 30. Jänner 1972 wieder zum Vorsitzenden des Rates gewählt. Es war seine letzte Rück­kehr in die Politik.

Ein älterer Mann in Anzug mit Brille arbeitet an einem Pult, während vier jüngere Menschen neben ihm sitzen und Notizen machen.

Joško Tischler za govorniškim odrom / Joško Tischler am Rednerpult. (ADT/ZRC SAZU)

Ausweis mit grünem Stempel, Text in Slowenisch, enthält Namen, Adresse und Geburtsdatum, vermutlich ein Mitgliedsausweis oder Dokument.

Tischlerjeva članska izkaznica v Narodnem svetu koroških Slovencev / Tischlers Mitgliedsausweis beim Rat der Kärntner Slowenen. (ADT/ZRC SAZU)

Im März 1972 veröffentlichte Sima einige Einzelheiten zum geplanten Gesetz über zweisprachige Ortstafeln. Kreisky traf zu diesem Thema am 6. April mit einer Delegation der Kärntner Slowenen zusammen. Der Gesetzesvorschlag stützte sich auf die Ergebnisse der Volkszählung 1961 und nicht auf den Prozentsatz des slowenischsprachigen Bevölkerungsanteiles auf zweisprachigem Gebiet über einen längeren Zeitraum. Er wurde von beiden Zentralorganisationen der Kärntner Slowenen zurückgewiesen, umfasste er doch nur 205 von den 850 Ortschaften auf zweisprachigem Gebiet. Der Gesetzesvorschlag störte andererseits auch die Kärntner Deutschnationalen, die ihrerseits Druck ausübten, diesen im Nationalrat nicht anzunehmen. Trotzdem wurde er mit einer Mehrheit von nur drei Stimmen beschlossen – 90 gegen 87; dafür stimmten nur die sozialistischen Abgeordneten. Am frühen Morgen des 20. September wurde damit begonnen, die ersten rund 50 zwei­sprachigen Aufschriften aufzustellen. Die Arbeiter, die sie montierten, wurden von der deutschsprachigen Bevölkerung beschimpft, die Vorwürfe waren vor allem gegen Sima gerichtet. In den Tagen vor dem Jahrestag der Volks­abstimmung am 10. Oktober begannen deutschnationale Aktivisten in organisierten Aktionen mit der gewaltsamen und gesetzeswidrigen Entfernung der Ortsaufschriften (Ortstafelsturm). Tischler und Zwitter baten am 16. Oktober den jugoslawischen Generalkonsul in Klagenfurt Bojan Lubej um Unterstützung. Am 16. November folgte die erste jugo­slawische Protestnote, am 12. Dezember sprach während eines Besuches in Ljubljana der jugoslawische Präsident Josip­ Broz Tito die Problematik an und forderte Österreich auf, die Verpflichtungen aus dem Österreichischen Staatsvertrag zu erfüllen. Die Kärntner Frage wurde internationalisiert und Gegenstand zahlreicher diplomatischer Diskussionen.

Letak KHD z naslovom Resnica o južni Koroški / Flugblatt des KHD mit dem Titel Die Wahrheit über Südkärnten (1972). (ADT/ZRC SAZU)

Letak KHD z naslovom 5 slovenskih privandrancev zadostuje / Flugblatt des KHD mit dem Titel  5 slowenische Zuwanderer genügen (1973). (ADT/ZRC SAZU)

Letak NDP (za vsebino odgovoren Norbert Burger) / Flugblatt der NDP (für den Inhalt verantwortlich Norbert Burger). (ADT/ZRC SAZU)

Letak NDP (za vsebino odgovoren) / Flugblatt der NDP (für den Inhalt verantwortlich Rudolf Fahnl). (ADT/ZRC SAZU)

Der Rat der Kärntner Slowenen normalisierte unter dem zweiten Mandat Tischlers endgültig die Beziehungen mit Ljubljana und Belgrad. Matevž Grilc, sein Nachfolger als Vorsitzender der Dach­organisation, betonte bei einer Gelegenheit, diese Normalisierung basiere auf dem Grundsatz, dass „der Staat des Muttervolkes den Rat der Kärntner Slowenen als selbständiges Subjekt mit eigener ideologischer Ausrichtung anerkennt und sich nicht in innere Angelegenheiten unserer Organisation einmischt“. Mitte Jänner 1973 besuchten Tischler und Franci Zwitter gemeinsam Ljubljana. Auch anlässlich der Versammlung in Klagenfurt am 15. Mai desselben Jahres, mit der rund dreihundert Repräsentanten beider Zentralorganisationen der Unterzeichnung des Österreichischen Staats­vertrages gedachten, trat Tischler gemeinsam mit Zwitter auf. Bei dieser Gelegenheit betonte Tischler: „Mit aller Offenheit fordern wir die Rechte, die uns im Staatsvertrag gewährleistet sind, mit derselben Offenheit bekennen wir uns zum slowenischen Volk.“

Der Streit wegen der zweisprachigen Ortstafeln nahm kein Ende. Mit Leitsprüchen wie „Für Volk und Heimat“ engagierte sich insbesondere der KHD in dieser Frage. Neben dem KHD und den Freiheitlichen tat sich in der antislowenischen Kampagne insbesondere die Nationaldemokratische Partei (NDP) hervor. Bei der Feier des Jahrestages der Volksabstimmung am 13. Oktober 1974 erregte ein Transparent, das das Slowenische Gymnasium als „Das große Gift!“ bezeichnete, große Aufmerksamkeit. Die Atmosphäre in Kärnten war tatsächlich vergiftet. Die beiden Zentralorganisationen der Kärntner Slowenen gaben im selben Jahr ein Buch heraus, in dem sie die Nichtbeachtung der Bestimmungen des Österreichischen Staats­vertrages auf verschiedenen Gebieten nachweisen konnten. Sie forderten die Wiener Regierung auf, die offenen Fragen endlich im Sinne von Großzügigkeit und Toleranz zu lösen.

Es folgte eine lange Ära neuer Verhandlungen. Auf der Hauptversammlung des Rates der Kärntner Slowenen am 15. Mai 1976 kandidierte Joško Tischler nicht mehr, zum Obmann wurde ­Matevž­ Grilc gewählt. Somit endete die politische Karriere des Nestors der slowenischen Volksgruppe.