Zwischen Nachkriegsoptimismus und politischer Realität

„Die Ereignisse während und nach dem Zweiten Weltkrieg haben mich überzeugt, dass sich beide Völker im Lande nur dann annähern können, wenn die Schule den Kindern die subjektive und objektive Fähigkeit für gegenseitiges Kennen und Achten gibt. Das aber soll in der Kenntnis bei­der­ Sprachen erreicht werden.” Die zitierte Aussage Tischlers, gegeben im Interview für die katholische Wochenzeitung Družina zwei Jahre vor seinem Tode, zeugt von seinem optimistischen Blick auf die Möglichkeit einer Lösung der Kärntner Frage auf den Ruinen des Zweiten Weltkrieges. Zugleich aber erkannte er angesichts der gegenüber den Kärntner Slowenen ablehnenden Haltung der Briten, die Kärnten besetzt hatten, bald, dass die Widerstandsbewegung der Kärntner Partisanen in den Augen der Alliierten schon in großem Maße vergessen war.

Ein altes, gelblich-verblasstes Dokument mit deutschem Text, das Ränder und Schreibmaschinenschrift aufweist.

Priloga k zapisniku 13. seje začasne koroške deželne vlade /Anhang zum Protokoll der 13. Sitzung der Provisorischen Kärntner Landes­regierung,  3. 10. 1945.  (ADT/ZRC SAZU)

Weil die britische Besatzungsmacht ihre Politik auf der pragmatischen Zusammenarbeit mit der Provisorischen Regierung des Landeshaupt­mannes Hans Piesch aufbaute, musste sich auch Tischler anpassen. Obwohl er die Leitung der Befreiungsfront für Kärnten übernommen hatte, welche sich selbstbewusst auf die Verdienste des Partisanenkampfes gegen den Nationalsozialismus berief und entschieden zumindest den Anschluss Südkärntens an Jugoslawien befürwortete, war er selbst gezwungen, im Einklang mit den Prinzipien der Realpolitik zu handeln und einen Kompromiss mit den Schlüsselzentren der Macht im Lande sowie im Staate zu suchen.

Knapp vor der Abreise der letzten slowenischen Heimatvertriebenen, die am 25. Juli 1945 auf ihre Höfe zurückkehrten, statteten Landeshauptmann Piesch und Landesamtsdirektor Karl Newole Tischler einen Besuch ab. Sie luden ihn ein, in die Provisorische Landesregierung einzutreten. Die Einwilligung verband er mit zwei Forderungen als Bedingung: die Lösung der Schulfrage und die Rückkehr aller Kärntner slowenischen Vertriebenen. Er erhielt ihre Zusicherung, deshalb entschloss er sich, den Posten in der Regierung zu übernehmen, auf welchen er offiziell von der britischen Besatzungsmacht ernannt wurde.

Tischlerjev članek o koroškem šolskem vprašanju / Tischlers Aufsatz zur Kärntner Schulfrage. (Koledar Družbe sv. Mohorja v Celovcu za leto 1951)

Für Tischler begann eine neue Ära der politischen Arbeit innerhalb der Befreiungsfront für Kärnten. Außer den Aktivisten aus den kommunistischen Reihen wirkten in der Befreiungsfront auch Nationalliberale wie Franc Petek, Luka Sienčnik sowie die Brüder Mirt und Franci Zwitter. Die zahlreichste war die katholischnationale Gruppe um Tischler und Vinko Zwitter. Weil Petek vorerst die Leitung der Befreiungsfront zurückwies, boten die Mitglieder des kommunistischen Kernes, die an ihre Spitze eine Person, die über viel Einfluss noch aus der Vorkriegszeit verfügte, stellen wollten, diese Aufgabe Tischler an.

Mit den engsten Gesinnungsgenossen traf sich Tischler jeden Abend. Mit den Direktoren Franc   Legat und Franc Aichholzer wurde der Entwurf einer Verordnung für die verpflichtende zweisprachige Grundschule erarbeitet, die er im Wesentlichen nach Schweizer Vorbild konzipierte. Die britische Besatzungsmacht beabsichtigte anfangs südlich der Drau, auf dem Gebiet der Zone A, wo bei der Abstimmung im Jahre 1920 Jugoslawien die Mehrheit erhalten hatte, nur slowenische Schulen einzurichten, nördlich der Drau jedoch nur deutsche. Die Kärntner Landesregierung widersetzte sich einer solchen Regelung, würde sie doch eine Spaltung des Landes in zwei Teile verursachen, was Wasser auf die Mühlen der Befürworter eines Anschlusses an Jugoslawien wäre. Die Kärntner Politik jedoch war sich auch dessen bewusst, dass sie in den neuen internationalen Verhältnissen eine bedeutende Geste des guten Willens gegenüber den Forderungen der Kärntner Slowenen und deren Schutzmacht Jugoslawien machen müssen. Tischlers „Schweizer Vorschlag“ war für sie daher wie bestellt, erblickten sie doch in ihm einen Kompromiss.   

Den Kern des Tischler-Vorschlages bildete die Forderung, dass in den etwas über hundert Volks- und in den zehn Hauptschulen in den südlichen Gebieten Kärntens der Unterricht in beiden Landessprachen erfolgen sollte. Die ersten drei Jahre sollte der Unterricht prinzipiell in der Muttersprache des Schülers erfolgen, jedoch sollten schon von Anfang des Schulbesuches an mindestens sechs Stunden wöchentlich in der zweiten Landessprache erteilt werden. Ab dem vierten Schuljahr und bis zum Ende der Schulpflicht würde Deutsch die einzige Unterrichtssprache sein, auf Slowenisch würde man im vierten Jahr vier, danach drei Stunden wöchentlich unterrichten. Religion sollte ausschließlich in der Muttersprache des Kindes unterrichtet werden. Hiermit sollte die alte Regel überwunden werden, wonach die Eltern selbst bestimmen sollten, in welcher Sprache ihre Kinder unterrichtet werden sollten. Die Verordnung sollte außerdem den Umfang des Geltungsterritoriums in Südkärnten bestimmen. Die Ver­ordnung, die die Kärntner Landesregierung am 3. Oktober behandelte, wurde am 11. November 1945 amtlich verlautbart. Sie wurde vom Alliierten Rat in Wien bestätigt und somit Verfassungs­gesetz.

Handgeschriebene Urkunde vom Juni 1947 in Klagenfurt, mit dekorativer Überschrift 'Urkunde'.

Listina celovških gimnazijcev ob maturi v čast Tischlerju / Dankesurkunde der Klagenfurter Gymnasiasten anlässlich der Matura zu Ehren von Tischler, Juni 1947. (ADT/ZRC SAZU)

Buchcover mit dem Titel 'Die Sprachenfrage in Kärnten vor 100 Jahren und heute' von Dr. Josef Tscheler, Bezug auf deutsche Zeitdokumente und Zeitschriften.
Seiten aus einem Buch mit deutschem Text, Überschrift 'Vorwort'.

Naslovnica in predgovor knjižice Joška Tischlerja Die Sprachenfrage in Kärnten vor 100 Jahren und heute iz leta 1957 / Titelseite und Vorwort der Broschüre von Joško Tischler Die Sprachenfrage in Kärnten vor 100 Jahren und heute aus dem Jahre 1957.