Zwischen Ignoranz der Großmächte und nationalistischer Druckausübung
In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg repräsentierten die vier Hochkommissare die siegreichen alliierten Großmächte in Wien. Einer der seltenen Kontakte mit den Hochkommissaren, den Tischler auch mit der Öffentlichkeit teilte, fand bald nach der Gründung des Rates der Kärntner Slowenen statt. Tischler übergab ihnen nach eigenen Worten in Wien das von der neuen Organisation ausgearbeitete „Minderheitenstatut“. Aus der Korrespondenz im Familiennachlass ist ersichtlich, dass der Exekutivausschuss des Rates der Kärntner Slowenen es am 18. Juli 1949 dem amerikanischen Hochkommissar Geoffrey Keyes schickte. Im Begleitschreiben, das Tischler und Dolfej Picej unterschrieben, wurde eingangs betont, dass im Rat der Kärntner Slowenen alle Gruppen und Organisationen der Kärntner Slowenen gesammelt werden sollten, außer der Befreiungsfront. Eine kurze Beschreibung des Inhaltes des Statutes fassten Tischler und Picej in zwei Punkten zusammen. Zum Ersten sollte es beweisen, dass wahre Demokratie Volksgruppenrechte auch einer kleinen Gruppe gewährleisten kann. Und zweitens sollte das Statut den Frieden zwischen „den beiden Volksteilen im Lande Kärnten“ erneuern und sichern, womit auch Exzessen der Nährboden entzogen werden würde. Abschließend appellierten sie an den Repräsentanten der USA, sie mögen gerade angesichts der Botschaft der Atlantik-Charta das vorgelegte Statut wohlwollend behandeln. Trotz gewisser Zusicherungen seitens der Großmächte jedoch wurden bei den Verhandlungen über die staatsrechtliche Zukunft Österreichs die Vertreter der Minderheiten nicht eingebunden.
Joško Tischler in Fran Erjavec, v Parizu živeči strokovnjak za zgodovino koroških Slovencev / Joško Tischler und Fran Erjavec, in Paris lebender Experte für die Geschichte der Kärntner Slowenen (1954).
(ADT/ZRC SAZU)
Tischler in deželni glavar Wedenig / Tischler und Landeshauptmann Wedenig (1963).
(ADT/ZRC SAZU)
Nach dem Zerwürfnis Titos mit Stalin („Kominform-Konflikt“) war klar, dass Jugoslawien auch in der Kärntner Frage ohne die Unterstützung der Sowjetunion blieb. Die Gegensätze zwischen Stalin und den westlichen Großmächten waren zu diesem Zeitpunkt schon offensichtlich, was jedoch nicht bedeutete, dass die Kärntner Slowenen mit einem britischen Entgegenkommen rechnen konnten. Tischler versuchte trotzdem zu retten, was noch zu retten war. Seine antikommunistische Haltung war für die Beziehungen mit der britischen Besatzungsmacht sicherlich kein Nachteil. Die Briten waren in gewissen Bereichen bereit, seine Bestrebungen zu unterstützen. Das zeigte sich im Frühjahr 1950, als sie die Initiative, das Blatt des Rates der Kärntner Slowenen Naš tednik (Unsere Wochenzeitung) mit der Koroška kronika (Kärntner Chronik) zu fusionieren, unterstützten.
Auf der Jahreshauptversammlung am 20. März 1951 strich Tischlers Organisation innerhalb ihrer wichtigsten politischen Ausrichtungen die Forderung nach einer verfassungsmäßig abgesicherten Gleichberechtigung hervor und betonte zugleich die Loyalität gegenüber Österreich. Es wurde auch entschieden gefordert, „jegliche Versuche zu unterlassen, die Volksgruppe als politisches Kleingeld im Kampf zwischen verschiedenen Parteien oder vom Mutterstaat in der zwischenstaatlichen Politik zu missbrauchen.“ Inzwischen kam es allmählich auch zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Österreich und Jugoslawien, das am 6. Jänner 1951 den Kriegszustand mit dem Nachbarstaat beendete. Es wurden zahlreiche Einschränkungen im bilateralen Geschäftsverkehr abgeschafft, es kam zu ersten Ministerbesuchen. Auf sowjetische Anregung hin wurden zu Beginn des Jahres 1955 die Verhandlungen zwischen den vier Großmächten und Österreich beschleunigt. Im Schloss Belvedere wurde am 15. Mai der Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreichs unterzeichnet.
Dopis Joška Tischlerja in Dolfeja Piceja visokemu komisarju ZDA / Schreiben von Joško Tischler und Dolfej Picej an den Hochkommissar der USA, 18. 7. 1949.
(ADT/ZRC SAZU)
Tischlerjeva odstopna izjava, naslovljena na deželnega glavarja Piescha /Tischlers Rücktrittserklärung, adressiert an den Landeshauptmann Piesch, 6. 11. 1945.
(ADT/ZRC SAZU)
Auf die Unterzeichnung des Vertrages reagierten die beiden Zen-
tralorganisationen der Kärntner Slowenen einvernehmlich. Im
14 Seiten umfassenden Memorandum vom 11. Oktober 1955 legten sie ihre Interpretation der Minderheitenschutzbestimmungen des Österreichischen Staatsvertrages vor. Das Memorandum ging vom Standpunkt aus, dass sich die Kärntner Slowenen die Rechte aus dem Artikel 7 durch „unbeugsamen Lebenswillen, insbesondere durch unseren entschlossenen Widerstand und Aufstand gegen den Nazismus an der Seite der Verbündeten und mit ungeheuren Opfern, die das slowenische Volk erbracht hatte, erkämpft“ haben. Die Repräsentanten der Kärntner Slowenen sicherten zu, alles zu unternehmen um nationale Gegensätze im Lande zu unterbinden: „Wir sind bereit, eine Brücke zu bilden, die die beiden Nachbarvölker und die beiden Nachbarstaaten verbindet, was in diesem Teile Europas ein neues und festes Element des Friedens werden wird. Eine erfolgreiche Erfüllung dieser unserer Aufgabe hängt aber auch vom guten Willen des österreichischen Staates ab, der das grundlegende natürliche Recht und das Streben jeder ethnischen Gruppe und jedes Volkes, dass es leben will, und dass es einen kulturellen und wirtschaftlichen Fortschritt anstrebt, anerkennen muss.“ Des Weiteren wurde im Memorandum im Einzelnen erklärt, wie sich die Vertreter der beiden Zentralorganisationen die Erfüllung des Artikels 7 des Österreichischen Staatsvertrages vorstellen. Die Hauptaufmerksamkeit wurde der Gewährleistung der Gleichberechtigung in den Bereichen Schule, Kultur, Verwaltung und Gerichtsbarkeit gewidmet. Es wurde auch die Gründung zweier besonderer Volksgruppenreferate mit höheren Beamten an deren Spitze gefordert, von welchen einer beim Bundeskanzleramt, der andere beim Amt der Kärntner Landesregierung tätig sein sollte. Die Schlussforderung war der Beschluss eines Sondergesetzes: „Alle angeführten Bestimmungen zum Schutze des Volkscharakters und der Volkstumsrechte sollen in ihrem Ziel schließlich Inhalt eines besonderen Minderheitengesetzes werden, das über die verfassungsrechtlich gewährleistete individuelle Gleichberechtigung der Staatsbürger slowenischer Volkszugehörigkeit hinaus die Gleichberechtigung der slowenischen Minderheit als Volksganzes verwirklicht und unsere Forderung berücksichtigt, dass wir Kärntner Slowenen als Gleichberechtigte unter Gleichberechtigten leben wollen.“
Obwohl Tischler bei den diplomatischen Verhandlungen über den Österreichischen Staatsvertrag nicht mitgewirkt hatte, baute er nach ihrer Unterzeichnung seine Politik auf der bedingungslosen Achtung seiner Bestimmungen auf. Noch zwei Jahre vor seinem Tod sagte er über ihn: „Die Minderheitenfrage ist nur mithilfe der genauen Erfüllung des Textes des Staatsvertrages lösbar. Die Gesetze des Wiener Parlamentes können von diesem jederzeit aufgehoben werden, das Parlament jedoch kann den Text des Staatsvertrages nicht aufheben.“
Spomenica koroških Slovencev z dne 11. oktobra 1955 / Memorandum der Kärntner Slowenen vom 11. Oktober 1955.
(ADT/ZRC SAZU)